2-2016

Sie kauft an der Supermarkt- kasse noch eine Packung Chips, obwohl sie gerade auf Diät ist. Er raucht mal wieder eine Zigarette, obwohl er das Rauchen aus Gesundheits- gründen aufgegeben hat. Nur zwei Beispiele dafür, dass die kurzfristigen Handlungen vieler Menschen nur schwer mit ihren langfristigen Zielen in Einklang zu bringen sind. Gewohnheitstier Mensch Menschen neigen beispielsweise dazu, bei einem Ver- halten oder einem Produkt zu bleiben, auch wenn der Aufwand eines Wechsels gering und der Nutzen groß ist (Status Quo Effekt). Sie bevorzugen einen kurzfristi- gen Nutzen gegenüber einem längerfristigen viel stärker als dies ratsam wäre (Gegenwartspräferenz). Diese und andere Verzerrungen wie Framing, Verlustaversion, die Wirkung sozialer Normen sowie die systematische Fehl- einschätzung von Wahrscheinlichkeiten führen zu Ent- scheidungen von Menschen, die nicht ihren langfristigen Präferenzen entsprechen. Fehlende Wirksamkeit bisheriger Instrumente Um Menschen dabei zu unterstützen, ihre eigentlichen Ziele zu erreichen, wurde bisher meist auf Information und Beratung (Kalorienangaben auf Produkten), harte Regulierung (Rauchverbot in Gebäuden) oder auch finan­ zielle Anreize (die Erhöhung der Tabaksteuer) gesetzt. Solche Maßnahmen haben den Nachteil, dass sie entwe- der relativ wenig wirksam sind oder einen starken Eingriff in die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit des Indivi- duums darstellen. Nudges statt immer mehr Regeln – Geht Regulierung auch anders? Lösungsansatz »Nudging« Alternativ wird seit einigen Jahren das Konzept der »verhaltensbasierten Regulierung« diskutiert und weltweit von über 150 Regierungen angewendet. Die Attraktivi- tät der verhaltensbasierten Regulierung besteht vor al- lem darin, dass sie die Freiheit des Einzelnen nicht ein- schränkt und keine Verhaltensvorschriften macht oder Verbote erteilt. Vielmehr versucht sie, den physischen, sozialen und psychischen Entscheidungskontext durch sanfte »Stupser« – so genannte Nudges – und eine ziel- orientierte Architektur der Wahl zu gestalten. Nudges sind Verhaltensinterventionen, die durch die Gestaltung von Entscheidungssituationen und Verhaltenskontex- ten wirken. Beispiele hierfür sind die Änderungen von Grundeinstellungen, so genannten Defaults (automa- tisches doppelseitiges Drucken um Papier zu sparen), Optimierung der Gestaltung von Informationen (grafische Warnhinweise auf Zigarettenpackungen) oder auch der Appell an soziale Normen (Aufforderung zum mehrmali- gem Verwenden von Handtüchern in Hotels mit Hinweise auf energiesparendes Verhalten anderer). Die betroffenen Personen haben weiterhin die freie Wahl bei vollständiger Information und Transparenz, jedoch gibt die veränderte Architektur der Wahl klare Verhaltensaufforderungen, die ein bestimmtes Zielverhalten fördern. Die große Wirkung solcher »Nudges« ist mittlerweile für viele Handlungs- bereiche gut belegt. Nudges sind zudem per Definition immer transparent und müssen der öffentlichen Debatte zugänglich sein, wenn sie als Politikinstrument einge- setzt werden; Transparenz schadet ihrer Wirkung kei- neswegs – im Gegenteil, durch Debatten werden solche Nudges noch effektiver und effizienter. Einführung von Nudges in Deutschland Die Akzeptanz von Nudges konnte in breit angelegten, repräsentativen Studien in den USA und Europa nachge- wiesen werden und eine deutliche Mehrheit befürwortet die Einführung von Nudges, insbesondere um umwelt- und gesundheitsrelevante Nachhaltigkeitsaspekte zu för- dern. Die Bundesregierung hat 2015 die Zeichen der Zeit erkannt und eine Arbeitsgruppe »Wirksames Regieren« gegründet. Ziel: Potentiale von verhaltensbasierter Regu- lierung erörtern und in die politische Praxis einbringen. JULIUS RAUBER & LUCIA A. REISCH/CCMP, ZEPPELIN UNIVERSITÄT FRIEDRICHSHAFEN 36 Entscheidung Im Blick—

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