1-2019

Vom Familienunternehmen zur Start-Up-»Familie« »Wir sind zu spät! Der Ein- kaufszettel hängt am Kühl- schrank, Anton hat Waldtag und braucht eine lange Hose. Fritz geht nach der Schule zum Geburtstag, die Adresse steht im Familienkalender. Ich komme heute später, habe ›Saudis‹ zu Besuch,« erkläre ich unserer Nanny noch in Unterwäsche. So spielen Zahnpastaflecken vor Verlas- sen des Hauses keine Rolle. K ürzlich las ich: Die häufigsten Gründe, warum Start-Ups scheitern, sind: Fehlende Marktkennt- nisse, Probleme im Team und zu wenig Cash. Die- se Herausforderungen treffen auch für meine Familien- gründung weitestgehend zu. Nur scheitern ist hier keine Option. Als Unternehmerin habe ich gelernt, mit Risiko und Verantwortung umzugehen. Eine Risikoanalyse zum Brexit fällt mir leicht: Bis Ende März muss ich die Supply Chain ohne Großbritannien organisieren. Das Risiko einer frühen Betreuung der Kinder durch andere Personen ist in meinem neuen »Unternehmen Mutter« bedeutend schwerer einzuschätzen. Die Verantwortung für Kinder ist so direkt, dass sie manchmal Angst macht. Und somit kommen zu den sporadischen schlaflosen Nächten über die Firma weitere durch die Kinder hinzu: Nächtlicher Toilettengang, Fieber und Alpträume inklusive. Unternehmereltern brauchen eine verlässliche Organisationsstruktur. Dazu gehören gute Freunde und ein farbkodierter Familienkalender als zentrale Informa- tionsquelle. Mutter sein habe ich nicht gelernt. Dafür gibt es kein Studium und kein Patentrezept. Ich lerne zu improvisieren und mich auf meine Intuition zu verlassen - jeden Tag von neuem. Der Partner und die Mitarbeiter spielen dabei eine entscheidende Rolle. Agilität, eine offene Kommunikation, Verständnis für entstehende Bedürfnisse sind mehr denn je gefragt, denn es lässt sich nicht alles absehen und planen. Für mich persönlich bedeuten Firma und Familie vor allem ein gesundes Selbstbewusstsein und die Erkennt- nis, nicht allen Erwartungen gerecht werden zu können und zu wollen. Da landet schon mal Popcorn statt Butter- brot in der Frühstücksbox, Termine werden kurzfristig verschoben und abendliche Romantik mit dem Partner wird von organisatorischen Themen verdrängt. Neulich fragt mich ein asiatischer Kunde, warum meine Finger­ nägel nicht lackiert sind? Meine Antwort: »German style«. Und warum der Kraftakt? Weil es Spaß macht und mich wachsen lässt. Ich bin heute gut organisiert, ziem- lich effizient und klar priorisiert. Ich bin großzügig, ver- traue meinem Umfeld, lebe weniger perfekt und bin ent- spannter. Ich lache und liebe mehr, werde zu täglichem Querdenken animiert und singe auch schon mal am Mor- gen. Würde ich Unternehmerinnen also raten, eine Familie zu gründen? In jedem Fall, denn die Zahnpasta auf der Hose kann einen spontanen Lachanfall hervorrufen. Fachbeitrag—  50 Familie JULIA ESTERER, DR.-ING. ULRICH ESTERER GMBH & CO.

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